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Pflegekind-Serie: Warum ein Kind?

Gibt es richtige und falsche Gründe, um ein Kind aufzunehmen?

Stellt ihr euch auch die Frage: bin ich überhaupt geeignet, um Mutter oder Vater zu werden? Können wir das, Eltern sein? Warum wollen wir eigentlich ein Kind aufnehmen? Machen wir es aus egoistischen Gründen? Weil es einfach dazugehört? Weil man als Frau ein biologisches Ablaufdatum hat und wir unsere Familie und die Gesellschaft zufriedenstellen wollen? Weil es unsere Partnerschaft perfekt machen würde? Weil wir etwas Gutes tun wollen, um in unserer Kirchengemeinde Punkte zu sammeln?


Nicht alle Kinder sind Wunschkinder


Jedes Jahr werden weltweit durchschnittlich 132 675 000 Kinder geboren, alle 4 Sekunden erblickt ein neuer Erdenbürger oder eine neue Erdenbürgerin das Licht der Welt. Wie viele Kinder davon sind Wunschkinder? Wie viele Eltern freuen sich über ihr neues Familienmitglied? Wie viele Eltern sind darüber verzweifelt, weil sie kein (weiteres) Kind ernähren können? Wie viele Frauen sind verzweifelt, weil ihr Kind kein Junge ist, weil sie ihr Kind nicht alleine ernähren können, weil sie sich über ihre Schwangerschaft nicht gefreut und das Kind nicht freiwillig ausgetragen haben?


Wie viele dieser Kinder landen in Familien, die alles für sie geben würden, die alle Mittel und ihre ganze Energie dafür einsetzen, dass ihr Kind ein glückliches und gesundes Leben führen kann? Wie viele von ihnen landen in einem Umfeld, das sie nicht willkommen heißt, das ihnen physisch und psychisch schadet und das sie sogar das Leben kostet?


Haben sich alle diese Frauen bzw Eltern im Vorfeld darüber Gedanken gemacht, ob sie ein Kind wollen, ob sie materiell und emotional stabil genug aufgestellt sind, um ein Kind oder mehrere Kinder aufzuziehen? Mit Sicherheit nicht.


Viele Gründe für elterliches Versagen


Im Umfeld der Pflegekinder ist man mit Ursprungseltern konfrontiert, die trotz ihrer bereits amtsbekannten Probleme weitere Kinder in die Welt setzen, ohne die bestehenden Probleme vorher gelöst zu haben. Warum tun sie das? Es müsste ihnen doch klar sein, dass auch das Neugeborene wieder fremduntergebracht wird. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Viele dieser Eltern haben psychische Probleme, sind drogen- oder alkoholabhängig oder sind nicht organisiert genug, um sich um Verhütung zu kümmern. Sie sehnen sich nach einem Kind, sind dann aber von der Realität und der Verantwortung überfordert. Ich habe auch schon die Aussage gehört, dass so lange weitergezeugt wird, "bis endlich ein Junge kommt".


Als gut organisierter, privilegierter Mensch, der in stabilen Verhältnissen aufgewachsen ist, kann man das nur schwer nachvollziehen und nur schwer ertragen. Viele Frauen oder Paare wünschen sich sehnlichst ein Kind, doch aus unterschiedlichen Gründen erfüllt sich dieser Herzenswunsch nicht. So entscheiden sich einige für eine künstliche Befruchtung, eine Leihmutter, eine Adoption oder, wie ich, für die Aufnahme eines Pflegekindes.


Der Eignungstest


Im Unterschied zu Eltern bzw Frauen, die eigene Kinder zeugen und bekommen, müssen sich Adoptiv- bzw Pflegeeltern erst einem Durchleuchtungsprozess unterwerfen, bevor sie der Aufnahme eines Kindes für würdig befunden werden. Während dieses Verfahrens müssen wir unsere Finanzen offenlegen, ein ärztliches Attest vorweisen über unsere geistige und körperliche Gesundheit. Wir müssen an Kursen teilnehmen, werden bei Gesprächen auf Herz und Nieren geprüft und müssen nachweisen, dass wir uns Gedanken darüber gemacht haben, wie ein Pflegekind unseren Alltag verändern wird und wie wir mit möglichen Problemen umgehen werden, die auf uns zukommen könnten.


All das ist durchaus sinnvoll. Kinder, die aufgrund von Kindeswohlgefährdung aus ihren Ursprungsfamilien genommen und in Pflegefamilien untergebracht werden, sollen verständlicherweise die besten Voraussetzungen für ihr weiteres Leben bekommen.


Eine angehende Pflegemutter schrieb mir, sie möchte kein Kind aufnehmen, um eine Leere zu füllen. Sie sei erfolgreich im Job, habe ein tolles familiäres Umfeld, doch aus verschiedenen Gründen habe es nicht mit einer eigenen Familie geklappt. In dieser Formulierung habe ich mich wiedererkannt. Ich sagte damals auch, dass ich kein Kind aufnehmen wolle, um eine Leere in meinem Leben zu füllen. Ich sagte auch, mein Leben sei super, wie es ist und ein Kind wäre "the cherry on top". Ich sagte, ich hätte viel Glück im Leben gehabt und wolle nun dieses Glück weitergeben.


Keine Angst vor Verletzlichkeit


Warum sagte ich das? Weil es genau das ist, was die Gesellschaft von uns erwartet. Natürlich war es keine Lüge, aber es war auch nicht die ganze Wahrheit. Warum sagen wir nicht, dass wir traurig sind, dass es nicht geklappt hat mit einer eigenen Familie? Dass eine langjährige Beziehung kaputtgegangen ist und wir uns davon eigentlich eine Familie mit Kindern erhofft hatten? Dass wir es uns nicht vorstellen können, ewig nur die Tante oder der Onkel zu sein und ganz ohne eigene Kinder alt zu werden? Dass wir Angst davor haben, unsere biologische Uhr könnte ablaufen und wir hätten keine Chance, jemals ein eigenes Kind bekommen? Dass wir Angst davor haben, keine Frau oder Mann könnte sich jemals vorstellen, mit uns das "Abenteuer Kind" zu wagen?


Natürlich sagen wir das nicht. In unserer politisch korrekten Welt haben wir Angst davor, unsere Verletzlichkeit zuzulassen und unsere Ängste zu teilen und offen zuzugeben.


Ich bin der Auffassung, dass keine Entscheidung, die wir im Leben treffen, jemals völlig uneigennützig sein kann oder sein muss. Ist es nicht besser, ein Kind aufzunehmen, weil man sich ein Kind wünscht? Wie viele Kinder werden in Ursprungsfamilien geboren, um eine Leere zu füllen oder eine Partnerschaft zu kitten? Warum sollten wir nicht ein Pflegekind aufnehmen, um unser gutes Leben noch besser zu machen und um diesen leeren Platz in unserem Herzen zu füllen? Sind wir schlechtere Menschen oder ungeeignetere Eltern, weil wir zu einem gewissen Grad auch aus eigennützigen Gründen ein Kind aufnehmen wollen?


Unsere Entscheidung, ein Pflegekind aufzunehmen ist nicht weniger wert, nur weil wir dabei auch noch etwas Gutes tun. Etwas Gutes für ein Kind und etwas Gutes für uns selbst.










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