Pflegekind-Serie: Biografiearbeit
- Vampirndl
- 7. Apr.
- 4 Min. Lesezeit
Warum sind die eigenen Wurzeln beim Pflegekind so wichtig?

Wenn ihr mir schon länger folgt, wisst ihr, dass ich den Film "Blind Side - die große Chance" liebe. Der Film zeigt die wahre Geschichte von Michael Oher, der als Jugendlicher von der reichen Familie Tuohy als Pflegesohn aufgenommen wird. Beim Ansehen dieses Films ist mir wieder bewusst geworden, dass ich nicht dazu verdammt bin, kinderlos zu bleiben. Dass ich nicht dazu verdammt bin, auf einen prince charming zu warten, während mein (kinderloses) Leben an mir vorbeizieht, sondern dass ich mein Glück in meine eigenen Hände nehmen und ein Kind adoptieren kann. So wie es schon in jungen Jahren mein Plan war, den ich im Laufe der Zeit wieder vergessen hatte. Dass es dann ein Pflegekind wurde und keine Auslandsadoption, ist eine andere Geschichte...
Seither habe ich den Film "Blind Side" mehrere Male gesehen und viele Aspekte darin entdeckt, die in der Arbeit mit Pflegekindern wichtig sind und die den Film so authentisch machen. So hat beispielsweise die Pflegemutter (gespielt von Sandra Bullock) bei der Highschool Abschlusszeremonie ein Babyfoto ihres Pflegesohns zur Projektion auf die Leinwand beigesteuert. Als sie gefragt wird, woher sie das Foto habe, sagt sie, dass sie es aus einem Katalog für Kleidung entnommen habe.
Stichwort - Biografiearbeit
Dieses Beispiel zeigt auf einfache Weise, wie wichtig Biografiearbeit ist. Sie hat ihrem Pflegesohn, der von seiner Ursprungsfamilie nicht mehr als eine Plastiktüte mit ein paar Kleidungsstücken hatte, mit dieser Aktion eine Vergangenheit gegeben. Er wäre bei der Zeremonie der einzige ohne Babyfoto gewesen; das wäre sehr traurig und erniedrigend für ihren Pflegesohn gewesen.
Warum ist es so wichtig, den eigenen Ursprung zu kennen?
Pflegekinder stehen vor der Herausforderung, die Brüche in ihrer Biografie, also ihr Leben vor der Pflegefamilie und ihr Leben in der Pflegefamilie, unter einen Hut zu bringen. Pflegekinder kommen naturgemäß aus schwierigen Umständen und ihre Biografie ist häufig lückenhaft. Das neue Leben bietet meistens nicht nur finanzielle und emotionale Sicherheit, sondern auch der kulturelle Hintergrund, die Muttersprache oder das Aussehen (zB andere Hautfarbe) können anders sein.
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Abstammung kann dem Pflegekind dabei helfen, die Vergangenheit und die erlittenen Traumata besser zu verarbeiten. Man möchte mit der Biografiearbeit dazu beitragen, dass das Pflegekind eine positive Identität entwickelt und seinen Platz im Leben findet.
Aber nicht nur für die Kinder ist die Auseinandersetzung mit den biologischen Eltern wichtig, sie kann auch den Pflegeeltern dabei helfen, das Kind und seine Verhaltensweisen besser zu verstehen.
Die Vergangenheit des Kindes nicht ignorieren!
Viele Pflegeeltern sind der Auffassung, dass ihre Bonuskinder alle Schwierigkeiten hinter sich gelassen haben, als sie in die neue Familie aufgenommen wurden. Jetzt sind sie in Sicherheit, sie sind geborgen und das Kind kann sich entfalten und sein Potential ausschöpfen. Die Vorgeschichte und die biologische Familie würde man am liebsten vergessen und nie mehr davon sprechen.
Das ist ein großer Fehler. Auch wenn ihr dabei an das Wohl eures Kindes denkt, kann das schwerwiegende Folgen für die Psyche eures Pflegekindes haben. Und wir alle kennen den Spruch "der Weg in die Hölle ist mit guten Absichten gepflastert". Egal in welchem Alter ihr euer Kind aufgenommen habt, es trägt immer ein Päckchen an vorgeburtlichen oder frühkindlichen Erfahrungen mit sich, das schwerer oder leichter sein kann, aber es existiert. Auch genetische Voraussetzungen dürft ihr nicht ignorieren.
Was wird durch das Ignorieren der biologischen Abstammung verursacht?
es kann ein Identitätsbruch entstehen, da die Erfahrungen aus der Zeit vor der Aufnahme mit jenen der Zeit in der Pflegefamilie nicht zusammengeführt werden können
es kann dazu führen, dass das Kind die biologischen Eltern idealisiert oder, im Gegenteil, sich die Eltern als Monster vorstellt
das Kind könnte Schuldgefühle entwickeln und sich einreden, dass es selbst daran schuld ist, dass es nicht in der Ursprungsfamilie bleiben konnte, oder dass die biologischen Eltern nicht zu den Besuchskontakten kommen, weil es nicht liebenswert genug ist
Die Biografiearbeit soll es ermöglichen, dass sich das Kind ein realistisches Bild von seinen biologischen Eltern machen kann und weiß, woher es kommt und warum es nicht bei den Eltern bleiben konnte.
Beispiele für Biografiearbeit
Als Pflegeeltern kann man versuchen, so viele Informationen wie möglich über die Ursprungsfamilie herauszufinden sowie über die Lebenszeit des Kindes vor der Aufnahme in die Familie. Das kann Folgendes umfassen:
alle verfügbaren Informationen vom Jugendamt einfordern (Dokumentation über Besuche bei den biologischen Eltern vor der Abnahme des Kindes, Gerichtsbeschlüsse, Eindrücke der mit dem Fall betrauten Sozialarbeiter:innen, etc.)
Informationen von den Krisenpflegeeltern (Fotos, Berichte über Erlebnisse in der Krisenpflegefamilie, Lieblingsessen, etc.)
Dinge aufbewahren, die das Kind mitgebracht hat beim Einzug in die Familie (Kleidung, Kuscheltiere, Bücher, etc.)
bei Besuchskontakten Erinnerungen sammeln, Fragen stellen nach der Familie, den Ursprüngen, den Verwandten, woher stammen die Eltern, wie haben sie sich kennengelernt, warum haben sie diesen Vornamen des Kindes gewählt, gibt es Familienfotos?
gibt es Geschwister, die noch in der Ursprungsfamilie leben oder auch fremdplatziert sind - kann man den Kontakt herstellen?
die Informationen, Fotos und Erinnerungen festhalten in Ordnern, einem Erinnerungsbuch, etc und für das Kind aufbewahren
mit dem Kind kommunizieren, über Erinnerungen sprechen, altersgerecht die Eltern realistisch und neutral darstellen, sowohl positive als auch negative Gefühle des Kindes zulassen
Bei meiner Beschäftigung mit dem Thema bin ich auf die nette Webseite https://herzseiten.com/ gestoßen. Hier könnt ihr sehr nette Erinnerungsbücher bestellen, die sich auf Pflegekinder und Adoptivkinder beziehen, falls ihr für euer Pflegekind ein solches Buch basteln und gestalten möchtet. Ihr könnt das, je nach Alter eures Kindes, bestimmt auch gemeinsam machen oder zumindest im Laufe der Zeit gemeinsam erweitern und immer wieder als Basis für Gespräche nutzen.
Wenn ihr ein Pflegekind aufgenommen habt, dann seid ihr naturgemäß Menschen, die etwas Gutes zu unserer Gesellschaft beitragen wollen und benachteiligten Kindern einen erfolgreichen Start ins Leben schenken möchten. Tappt also nicht in die Falle, die Kinder vor der Vergangenheit schützen zu wollen, sondern kommuniziert offen und ehrlich mit ihnen und seid bereit für ihre Fragen zu ihrer Vergangenheit und den biologischen Eltern. Dann werden eure Bonuskinder es schaffen, ihre schwierige Vergangenheit und ihre schöne Zukunft bei euch miteinander zu vereinen und ein glückliches und erfolgreiches Leben führen!
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