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Pflegekind-Serie: Treffen mit der Ursprungsfamilie

Die Gratwanderung zwischen Mitgefühl und Schutz des Wohls eures Pflegekindes


Die meisten Menschen, die sich für ein Pflegekind entscheiden, tun dies, weil sie Kinder lieben, sich einen Kindeswunsch erfüllen möchten, aber auch weil sie sehr empathische Menschen sind. Zumindest trifft das auf all jene Pflegeeltern zu, die ich in den letzten 14 Jahren kennengelernt habe, seit ich mich selbst auf mein Pflegekind-Abenteuer eingelassen habe.

Eine der Fragen, die vor der Aufnahme des Kindes in der Vorbereitung auftaucht, ist die Frage, wie man mit der Ursprungsfamilie umgehen soll.


Meine erste Begegnung mit den biologischen Eltern


Ich wurde bei meiner ersten Begegnung mit den biologischen Eltern quasi ins kalte Wasser geworfen, obwohl man auch sagen könnte, dass ich ja freiwillig hineingesprungen bin...


Ich hatte einen Termin bei einer der Sozialpädagoginnen im Magistrat. Als ich dort ankam, war die Dame sichtlich aufgeregt und teilte mir mit, die Eltern wären gerade bei ihr im Büro, weil sie hätten sich im Tag geirrt und hätten eigentlich einen anderen Termin bei ihr gehabt. Sie sagte mir, ich solle mir mal im Park rund ums Amtsgebäude die Beine vertreten und nachdenken, ob ich spontan bereit wäre, die Eltern meiner zukünftigen Pflegetochter zu treffen. Meine Entscheidung stand recht schnell fest und ich ging wieder zurück zum Büro der Sozialpädagogin.


Es dauerte nicht lange und die Tür zum Büro ging auf und - da waren sie! Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber ich war recht erleichtert, dass mir zwei Menschen gegenüberstanden, die sehr freundlich waren und mir die Hand schüttelten. Der Vater sagte laut "ach die sieht ja sehr nett aus" und sagte mir, er freue sich, dass so eine sympathische Frau sich um seine Tochter kümmern werde. Auch von der Mutter ging keine feindselige Ausstrahlung aus.


Gedanken zur Vorbereitung von Treffen mit der Ursprungsfamilie


Ich glaube, dass dieses spontane Treffen wie in meinem Fall eher die Ausnahme ist, meistens sind solche Treffen ja doch länger im Voraus geplant. Wenn ihr bald in die Begegnung mit den biologischen Eltern gehen müsst, entweder im Rahmen eines Kennenlernens oder im Rahmen der Besuchskontakte, dann helfen euch vielleicht die folgenden Gedanken bei der Vorbereitung, auch in Hinblick auf die möglichen Auswirkungen von solchen Zusammentreffen auf euer Pflegekind:


  • Verringern von emotionaler Belastung und Loyalitätskonflikten:


Wie ihr euch vorstellen könnt, wirken sich Kontakttreffen nicht nur auch euch emotional aus, sondern vor allem auf eure Pflegekinder, die sich sowieso schon in einer emotionalen Ausnahmesituation befinden. Sie müssen nicht nur mit der Trennung von ihren leiblichen Eltern bzw ihrem gesamten bisherigen Umfeld zurechtkommen, sondern sich auch noch in ein neues, fremdes Umfeld einfügen. Je nachdem welche Vorgeschichte euer Pflegekind hat, kann ein Treffen mit der Ursprungsfamilie sehr aufwühlend für das Kind sein und zu Loyalitätskonflikten führen. Das Kind möchte sowohl seine biologischen Eltern zufriedenstellen als auch seine neue Familie. Ihr könnt euch vorstellen, dass diese Zwickmühle schwer zu ertragen sein kann.


Am besten ist es, wenn ihr es schafft, offen auf die Gefühle eures Kindes einzugehen und ihnen zu zeigen, dass es für euch in Ordnung ist, wenn sie nicht nur euch gegenüber Liebe empfinden, sondern auch gegenüber ihrer Ursprungsfamilie. In dieser Situation ist Eifersucht Fehl am Platz, ihr solltet euch möglichst neutral verhalten, damit euer Kind nicht in emotionale Konfliktsituationen gerät.


  • Wie und worüber soll ich denn mit denen reden?


"Reden ist Silber, Schweigen ist Gold" - dieses Sprichwort kann man in diesem Falle nicht einsetzen. Nichts ist unangenehmer als ein Treffen mit der Ursprungsfamilie, bei dem man sich anschweigt und bei dem die peinliche Stille zwischen allen Beteiligten schwer in der Luft hängt.


Anfangs wird es für alle herausfordernd sein, eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Bei den Kontakttreffen kommen Menschen zusammen, die sich im normalen Lebensverlauf zumeist nie begegnet wären, vielleicht bestehen sprachliche, kulturelle und soziale Barrieren und vielleicht habt ihr auch einen anderen Bildungshorizont als die biologischen Eltern. Da sind Missverständnisse und schwierige Kommunikation geradezu vorprogrammiert!


Möglichkeit zur Biografiearbeit


Ich empfehle euch, macht euch darüber nicht allzu viele Gedanken im Vorfeld! Am besten unterhaltet ihr euch über unverfängliche Themen, erzählt etwas über die Fortschritte und den Alltag des Kindes, bringt Fotos mit, lasst vielleicht die Eltern erzählen, wenn das möglich ist, damit ihr auch etwas über die Herkunft der Familie erfahrt. Die Besuchskontakte sind immer eine gute Gelegenheit, Informationen von der Familie zu erhalten über die Familiengeschichte. Am besten, ihr schreibt diese Informationen auf, macht Fotos während der Treffen und erstellt ein Erinnerungsalbum für euer Kind. Häufig sind die Besuchskontakte nicht regelmäßig oder reißen auch für immer ab. Die Lebensumstände der biologischen Eltern sind ja nicht die stabilsten. Es kann für die Identitätsfindung eures Pflegekindes extrem wichtig werden, mehr über seine Herkunft zu erfahren (Stichwort - Biografiearbeit!). Vor allem in der Pubertät wird die Herkunft oft zum Thema. Sehr schön ist es, wenn ihr die Informationen, die euch die Eltern erzählen dokumentiert, vielleicht bringen sie auch Familienfotos mit, falls vorhanden oder erzählen euch etwas über ihr Leben. Dann könnt ihr das alles später eurem Kind übergeben, damit es über seine eigenen Wurzeln nachlesen kann.


  • Andere Familien, andere Sitten


Dieser Punkt hängt oft eng mit dem Thema Kommunikation zusammen. Häufig gibt es ja eine große Diskrepanz zwischen Pflegeeltern und biologischen Eltern und den jeweiligen Erziehungsmethoden oder Werten. Auf kulturelle oder religiöse Unterschiede will ich hier gar nicht näher eingehen, obwohl das natürlich auch eine Rolle spielen kann, je nachdem aus welcher Community die biologischen Eltern stammen. Gleichgültig worauf die Unterschiede zurückzuführen sind, können sie bei den Kontakttreffen zusätzlich zu Spannungen führen.


Mein Tipp ist es, im Umgang mit den Pflegeeltern die Werte und Traditionen der biologischen Eltern zu respektieren, aber darauf zu achten, die eigenen Prinzipien aufrechtzuerhalten. In meinem Fall ist die Ursprungsfamilie türkischen und muslimischen Hintergrunds. Natürlich respektiere ich die Traditionen, die Religion und gewisse kulturelle türkische Gepflogenheiten. Ich muss aber für mich gewisse patriarchale Strukturen nicht akzeptieren und kann darauf achten, dass mein Pflegekind im Umgang mit der Ursprungsfamilie diese Strukturen auch nicht akzeptieren muss.


Nicht alles akzeptieren, um die scheinbare Harmonie zu wahren!


Ich habe meiner Tochter immer beigebracht, dass sie zu jedem "nein" sagen darf, wenn sie etwas nicht möchte. Der leibliche Großvater hat von ihr beim Besuchstreffen alle paar Minuten ein Bussi verlangt. Es ist so üblich, dass er als älteres mänlliches Oberhaupt der Familie respektiert wird und alle ihm gehorchen. Meine Tochter hat ihm, im Alter von 3 Jahren, geantwortet "ich hab dir eh schon ein Bussi gegeben", weil sie keine Lust hatte auf die ständige Busselei. Er musste über das Selbstbewusstsein schmunzeln und hat ihre Abgrenzung akzeptiert. Selbst wenn er das nicht akzeptiert hätte, so hätte ich mich in dem Fall auf ihre Seite gestellt und sie bei ihrer Abgrenzung unterstützt. Man kann einige Dinge akzeptieren, aber alles, was die körperliche Integrität und das seelische Wohlbefinden des Pflegekindes stören könnte, muss abgewehrt werden. Eure Rolle als Pflegeeltern ist es ja, das Kind vor diesen negativen Einflüssen zu schützen. Ihr müsst also dazu bereit sein, gewisse Konflikte mit der Ursprungsfamilie auszuhalten und euch schützend vor euer Pflegekind stellen.


  • Zusammenarbeit mit Jugendamt


Wie bereits erwähnt, kann die Organisation und Durchführung der Kontakttreffen eine logistische Herausforderung sein. Manchmal sind Besuchsregelungen gerichtlich festgelegt worden, manchmal ist es Vereinbarungssache. Je nachdem, ob der Kontakt mit der Ursprungsfamilie relativ harmonisch ist, wie in meinem Fall, oder eher konfliktbelastet, ist es einfacher oder schwieriger, die Treffen selbstständig zu vereinbaren.


Obwohl ich einen guten Kontakt zur Ursprungsfamilie hatte und noch immer habe, war es mir in der ersten Zeit lieber, die Treffen zusammen mit einer Sozialpädagogin vom Jugendamt in einem Besuchsraum des Jugendamts oder im Park daneben abzuhalten. Ich wollte die Möglichkeit haben, mich im Notfall abgrenzen zu können und auf die Unterstützung der amtlichen Betreuerin zurückgreifen zu können. Eine gute Zusammenarbeit mit dem Jugendamt ist extrem wichtig; dort erhaltet ihr viel Wissen und Ressourcen. Häufig gibt es auch Pflegeelterngruppen, bei denen man sich austauschen kann.


In Wien findet mindestens einmal pro Jahr ein Hausbesuch durch das Jugendamt statt. Vor diesem Besuch muss auch ein jährlicher Entwicklungsbericht über das Kind abgegeben werden. Ich empfehle euch, den Hausbesuch nicht nur als lästigen Kontrollbesuch zu sehen, sondern als Möglichkeit, in entspannter Atmosphäre mit dem oder der Betreuer/in wichtige Themen anzusprechen, zB Probleme mit der Ursprungsfamilie, Kostenübernahmen, Therapieangebote und alles, was euch auf der Seele lastet.


  • Selbstfürsorge


Wir Pflegeeltern brauchen viel Kraft und ein gutes Nervenkostüm, um den Druck auszuhalten, unter dem wir manchmal stehen. Wir sollen unserem Pflegekind beistehen, damit es seinen schwierigen Start ins Leben gut bewältigt und sich möglichst positiv entwickeln kann. Wir müssen zwar Besuchskontakte durchführen, damit unser Kind seinen Ursprung kennenlernt und ein realistisches Bild seiner biologischen Eltern bekommt und müssen es gleichzeitig vor dem negativen Einfluss der Familie und Retraumatisierung schützen. Wir müssen mit den Behörden zusammenarbeiten und uns auch um rechtliche Belange kümmern (zB Aufenthaltsgenehmigungen, Erhalt der Staatsbürgerschaft, etc.). All diese Dinge müssen wir bewältigen und zum Wohle des Pflegekindes lösen.


Auszeiten und Austausch sind wichtig!


Achtsamkeit und mentale Gesundheit werden seit eingen Jahren immer wieder in den Medien thematisiert. Wenn ihr bereits Kinder habt, wisst ihr, dass wir als Eltern ohnehin schon einer Doppel- wenn nicht sogar Dreifachbelastung ausgesetzt sind. Manchmal fühlt es sich an, als würde man nach mehreren Seiten gleichzeitig gezogen und könnte es keiner Seite ganz recht machen. Wenn ihr Pflegeeltern seid oder werden wollt, kommen weitere Herausforderungen hinzu.


Darum müsst ihr besonders gut auf euch achten; geht achtsam mit eurer Zeit und euren Ressourcen um. Baut auf jeden Fall kleine (oder wenn möglich größere) Auszeiten in euren Alltag ein. Diese Auszeiten werden bei jeder/jedem anders aussehen: eine Meditation oder ein Dankbarkeitstagebuch bevor der stressige Tag beginnt, eine Tasse des Lieblingstees und dabei in die Natur blicken, ein gutes Buch lesen, sich eine Massage gönnen, eigene Hobbys pflegen, alleine ins Fitnessstudio gehen, ...


In schwierigen Situationen, die euch vor allem psychisch sehr fordern, solltet ihr euch unbedingt auch Unterstützung und Austausch suchen in Pflegeelterngruppen oder beim Jugendamt nachfragen, ob es Möglichkeiten gibt, psychologische Unterstützung zu bekommen.


Euer Pflegekind hat schon einiges erlebt und durchgemacht. Ihr seid nun für dieses Kind eine neue Bezugsperson, auf die es sich unbedingt verlassen können muss. Wenn euch die Puste ausgeht und ihr das Handtuch werft, dann ist das nicht nur für euch eine schlechte Erfahrung, sondern höchst traumatisch für euer Pflegekind!


Auf jeden Fall solltet ihr bei Besuchskontakten auf eine möglichst entspannte Atmosphäre achten, in der sich euer Kind wohl fühlt. Meistens dauern diese Treffen nur kurze Zeit (bei uns war es jeweils ca eine Stunde alle zwei Monate), die Zeit vergeht schneller als man denkt und es wäre schade, wenn in dieser kurzen Zeit unnötige Konflikte entstehen. Wenn ihr euch unwohl fühlt, den Besuchskontakt alleine durchzuführen, dann bittet um begleitete Kontakte durch das Jugendamt oder Treffen in einem Besuchscafé oder einer amtlichen Einrichtung. Wenn ihr es schafft, die Besuchskontakte so angenehm wie möglich für euer Pflegekind zu gestalten, dann könnt ihr damit das Wohl eures Pflegekindes nachhaltig fördern.


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