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Pflegekind-Serie: Alleinerziehend und berufstätig - Reality check


Alleinerziehend und berufstätig zu sein ist schon unter "normalen" Umständen eine Herausforderung. Wenn man Glück hat, ist der Partner oder die Partnerin präsent im Leben der Kinder und eine echte Unterstützung und Entlastung bei der Kindererziehung und den alltäglichen logistischen Herausforderungen.


Als alleinerziehende Person ein Pflegekind aufzunehmen, bringt hingegen besondere Herausforderungen mit sich. In diesem Fall gibt es meistens keinen unterstützenden Part, der die Last mitträgt. Trotz der finanziellen Entschädigung durch das jeweilige Amt (in Wien ist es die MA 11), steht man im Alltag recht alleine da. In diesem Artikel möchte ich euch ein realistisches Bild über einige der Herausforderungen und Probleme geben, die ich im Laufe der letzten 14 Jahre als alleinerziehende Pflegemama meistern musste.


Suche nach einem Betreuungsplatz


Die Freude über die Ankunft meiner Pflegetochter wurde schon bald von der verzweifelten Suche nach einem Kindergartenplatz überschattet. Zwar haben wir in Wien den großen Vorteil, dass die Kinderbetreuung in einem städtischen Kindergarten kostenlos ist und dass es auch zahlreiche private Betreuungsmöglichkeiten gibt. Da ich aber mein Pflegekind Mitte September aufgenommen habe, waren die meisten Kindergartenplätze bereits vergeben. Amtliche Unterstützung von der MA11 oder der zuständigen Stelle für die Kindergartenplatzvergabe bekam ich keine.


Mir wurde lediglich eine mehrseitige Liste der Kindergärten mit Kontaktdaten in die Hand gedrückt. Ich telefonierte einen Kindergarten nach dem anderen ab und erhielt ebenso viele Absagen. Meine Verzweiflung stieg mit jedem Anruf, denn ich konnte damals nicht in Karenz gehen (das war gesetzlich damals nicht möglich) und musste dringend vor dem Ende meines zweiwöchigen Urlaubs einen Betreuungsplatz finden. Da ich auch finanziell auf mich allein gestellt war, konnte ich mir einen längeren Ausstieg aus dem Berufsleben nicht leisten. Glücklicherweise bekam ich letztendlich doch einen leistbaren Betreuungsplatz in einem privaten Kindergarten, der gerade erst eröffnet worden war und daher noch freie Plätze hatte.


Ich war recht enttäuscht darüber, dass ich so wenig Unterstützung durch das Amt bekam. Es ist nicht einfach Pflegekinder an Pflegeeltern zu vermitteln und schon gar nicht ältere Pflegekinder. Das Amt macht viel Werbung, um Pflegeeltern zu finden und ist überlastet, weil es zu wenig Pflegefamilien gibt. Ich hätte mir daher erwartet, dass das Amt eine solche Vermittlung auch dadurch attraktiver macht, indem es die künftigen Pflegeeltern bei der Suche eines Betreuungsplatzes unterstützt.


Wenn ihr Single seid und ein Pflegekind aufnehmen möchtet, dann erkundigt euch eventuell schon im Voraus in eurer Umgebung, wie die Betreuungssituation aussieht. Ich hatte mich damals bewusst gegen eine Tagesmutter entschieden, weil ich nicht wollte, dass meine Pflegetochter verwirrt ist, weil ich die neue Mama bin, aber tagsüber wird sie zu einer anderen Tagesmama in Betreuung gegeben. Ich dachte mir, dass es vielleicht besser und weniger verwirrend ist, wenn sie mich als Hauptbezugsperson hat und in der Betreuung mehrere Kindergartenpädagogen und -pädagoginnen als Ansprechpartner hat. Ich weiß nicht, ob ich mit dieser Einschätzung richtig liege, das war jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt meine Überlegung. Aber wenn ihr eine engagierte Tagesmutter findet oder die Großeltern zur Verfügung stehen, dann spricht sicherlich auch nichts gegen ein solches Arrangement.


Arbeitgeber


Mein damaliger Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Aufnahme meiner Pflegetochter war zwar bereit, meine Stunden auf 30 Wochenstunden zu reduzieren. Leider war das Unternehmen aber nicht flexibel betreffend die Arbeitszeiten. Bei einer Verspätung von 2 Minuten wurde man schon zum Chef zitiert und befragt, warum man zu spät kommt. Ich hatte auch nicht das Gefühl, entspannt einen Pflegetag nehmen zu können, wenn meine Pflegetochter krank war. 2009 war in Österreich die Möglichkeit, Home Office zu machen, noch nicht sehr verbreitet. Die Öffnung in Österreich hin zum Home Office ist eine der positiven Folgen der Covid-19 Pandemie.


Zum Glück bekam ich nach einiger Zeit ein Angebot eines anderen Unternehmens, das wesentlich familienfreundlicher ist und das mir und meiner Familiensituation seither mit viel Verständnis begegnet.


Bevor ihr ein Pflegekind aufnehmt, macht jedenfalls eine Bestandsaufnahme und denkt darüber nach, ob euer Arbeitgeber euch die Flexibilität bietet, die ihr benötigt. Wenn euer Arbeitgeber offen ist für Gespräche, dann klärt im Vorfeld, ob ihr eure Stunden reduzieren könnt, wie die Karenzregelung ist, ob ihr Home Office machen könnt, wenn das Kind Pflege benötigt, und ob die Arbeitszeiten flexibel sind oder sein können, falls ihr untertags Termine mit eurem Kind wahrnehmen müsst.


Ich bin damals Mitglied eines Vereins geworden namens "KIB - Kinder in Betreuung". Diesen Verein kann ich euch sehr ans Herz legen. Ihr könnt, wenn ihr Mitglied des Vereins seid, Unterstützung in Anspruch nehmen, zB eine Betreuungsperson für euer krankes Kind bekommen, die zu euch nach Hause kommt und den Tag mit eurem Kind verbringt, falls ihr nicht zu Hause bleiben könnt (siehe Reiter Notfallmama). Ich habe diesen Service ein paar Mal in Anspruch genommen und immer sehr nette Frauen kennengelernt, die sich um meine Tochter gekümmert haben.


Besuchstermine


Wenn ihr ein Pflegekind aufnehmt, dann habt ihr im Regelfall auch amtliche Termine wahrzunehmen und Besuchstermine mit den leiblichen Eltern oder Verwandten. Je nach Fall können diese Termine häufiger, seltener oder gar nicht stattfinden. Bei uns fanden die Termine anfangs monatlich statt mit den leiblichen Eltern. Nach einiger Zeit sind diese nicht mehr zu den Terminen erschienen und so wurden die Besuchstermine ausgesetzt. Später wurden Besuchstermine mit den Großeltern arrangiert, diese fanden auch monatlich statt. Nun da meine Tochter älter ist, trifft sie sich selbstständig mit ihrer Ursprungsfamilie und das Amt ist nicht mehr involviert in diesen Prozess.


Die Organisation und Einhaltung der Termine waren doch zeitlich aufwändig. Ich musste die frühzeitige Abholung untertags mit Kindergarten und Schule absprechen, mein Kind abholen, an den Treffpunkt bringen (bei uns war der Besuchskontakt begleitet durch unsere zuständige amtliche Betreuerin) und anschließend wieder nach Hause fahren. Eine Stunde Besuchskontakt bedeutete somit einen halben Tag Zeit zu investieren. Dies war natürlich besonders ärgerlich vom organisatorischen Standpunkt und traurig für meine Pflegetochter, wenn die Eltern nicht zum Termin erschienen sind. Ich muss gestehen, dass ich erleichtert war, als die Termine einige Zeit ausfielen. Ich war froh, meiner Tochter die Enttäuschung ersparen zu können und mir den beruflichen Stress durch die versäumten Arbeitsstunden.


Auch hier ist die Toleranz des Arbeitgebers gefordert. Als ich zu meinem neuen Job gewechselt habe, habe ich bereits im Vorstellungsgespräch meine Situation offengelegt und meine Chefin darüber informiert, dass ich für Krankheitstage Vorsorge getroffen habe, dass ich aber verpflichtet bin, Besuchskontakte einzuhalten und mir dafür regelmäßig einen halben Tag freinehmen muss. Meine Offenheit kam gut an und ich hatte nie Probleme mit meinem Arbeitgeber in dieser Hinsicht.


Meine Tochter hat die Besuchskontakte immer positiv erlebt und die Termine haben sie im Nachgang nicht beschäftigt. Ich weiß jedoch von anderen Pflegeeltern, dass ihre Kinder regelmäßig nach solchen Kontakten mit der Ursprungsfamilie krank werden oder psychisch nicht stabil sind. Man darf nicht vergessen, dass die Kinder, die wir aufnehmen, mehr oder weniger stark traumatisiert sind und daher kann die Begegnung mit der Ursprungsfamilie eure Kinder retraumatisieren. Sollte das der Fall sein, müsst ihr das unbedingt mit eurem Kontakt beim Amt ansprechen. Die Besuchskontakte dienen den Kindern und nicht den biologischen Eltern. Sie sollen den Kindern ermöglichen, sich ein realistisches Bild von ihren Eltern zu machen, und sie weder zu dämonisieren noch zu idealisieren. Wenn die Kontakte euren Kindern nicht gut tun, dann müssen sie auch nicht stattfinden!


Arztbesuche / Therapien


Je nachdem, wie stabil eure Pflegekinder körperlich oder psychisch sind, desto mehr oder weniger Termine für Arztbesuche oder Therapiebesuche benötigt ihr. Meine Tochter hatte sowohl körperliche Herausforderungen zu meistern (Knochenverformungen durch Vitamin D Mangelrachitis), sowie eine Störung der Körperwahrnehmung, als auch psychische Traumata.


Diese Probleme haben auch zu logistischen Herausforderungen in meinem Leben geführt, da die meisten Arzt- bzw. Therapietermine während meiner Arbeitszeit stattfanden. Teilweise konnten mich meine Eltern oder eine Babysitterin bei Terminen unterstützen, teilweise musste ich mir Urlaubstage organisieren oder die verlorene Arbeitszeit später einarbeiten. Einige Male musste ich meine Tochter mit ins Büro nehmen für ein paar Stunden und gleichzeitig meine Arbeit erledigen und meine Tochter beschäftigen.


Vor der Aufnahme meiner Pflegetochter hatte ich bereits als Kriterium angegeben, dass ich kein körperlich oder geistig beeinträchtigtes Kind aufnehmen möchte, weil ich mich als Alleinerziehende nicht dazu in der Lage fühle, ein solches Kind zu betreuen und zu fördern. Meine Tochter hatte nur eine leichte körperliche Beeinträchtigung, die zum Glück heute überwunden ist, aber die frühkindlichen Traumata oder die körperlichen Schäden durch Vernachlässigung sind nicht zu unterschätzen. Ihr solltet euch, soweit wie möglich, vor der Aufnahme eures Pflegekind, über die Vorgeschichte des Kindes erkundigen, damit ihr so viel Informationen wie möglich habt. Dann könnt ihr bewusster entscheiden, ob ihr der Herausforderung gewachsen seid.


Flexibilität und Kreativität sind gefragt


Für ein alleinerziehendes Elternteil eines biologisch eigenen Kindes spielen sicherlich viele der oben genannten Aspekte bei der Organisation des täglichen Lebens auch eine Rolle. Bei Pflegekindern kommen, wie ihr seht, noch weitere Herausforderungen hinzu. Lasst euch dadurch bitte nicht abschrecken, ihr bekommt dafür so viel Positives von eurem Kind zurück, dass die Mühen es allemal wert sind! Hier sind viel Flexibilität und kreative Lösungen gefragt, dann werdet ihr eure Wahl nicht bereuen und, im Gegenteil, sehr viel Freude in euer Leben holen.

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