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Gewaltfreie Erziehung – ein Kampf der sich lohnt

Der 30. April ist der Tag der gewaltfreien Erziehung. Er erinnert uns jeden Tag daran, dass viele Kinder weltweit mit Methoden erzogen werden, die mehr oder weniger hoch auf der Gewaltskala anzusiedeln sind.


Ich kenne keinen, der sich für Gewalt gegen Kinder aussprechen würde. Alle Eltern, die ich kenne, wollen, dass es ihren Kindern gut geht und dass sie später eine gute Zukunft haben werden. Die meisten Eltern lieben ihre Kinder und wollen nicht, dass sie Schaden nehmen.


Gewalt bei Kindererziehung - ein weltweites Problem


Dennoch, nach Schätzungen von UNICEF erleiden weltweit drei von vier Kindern zwischen zwei und vier Jahren Gewalt durch Eltern und Erziehende. In Deutschland ist einer Studie zufolge sogar fast jede/r Zweite noch immer der Auffassung, dass ein Klaps auf den Hintern noch keinem Kind geschadet habe.


Das sind erschreckende Schätzungen. Dabei geht es jedoch nicht immer unbedingt um körperliche oder sogar sexualisierte Gewalt gegen Kinder. Was fällt überhaupt alles in den Bereich Gewalt gegenüber Kindern? Dabei geht es nicht nur um die offensichtliche Gewalt wie den vermeintlich harmlosen Klaps. Es geht auch um Misshandlung durch Unterlassung.


Manche Erziehungsmethoden sind nicht sofort als Gewalt erkennbar


Um diese Feststellung besser zu verdeutlichen, nenne ich euch die einzelnen Kategorien der Gewalt (die Definitionen habe ich der deutschen Webseite der UNICEF entnommen):


Am einfachsten nachzuvollziehen sind


  • Körperliche Misshandlung: Physische Gewalt gegen Kinder, wie beispielsweise das Schlagen mit Händen und Gegenständen sowie Schütteln, Beißen, Verbrühen und Vergiften.

  • Sexualisierte Gewalt: Jede sexuelle Handlung an und mit Kindern, die gegen deren Willen geschieht oder der sie aufgrund körperlicher, seelischer, geistiger oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen können.


Bei diesen beiden Kategorien stimmt wohl jeder zu, dass Kinder jedenfalls vor solchen Handlungen zu schützen sind. Die Anwendung von körperlicher oder sexualisierter Gewalt sind für die meisten von uns unvorstellbar und absolut inakzeptabel.


Wie sieht es aber mit den beiden nächsten Kategorien aus?


  • Psychische Misshandlung: Erniedrigungen durch Worte, Diskriminierung, Anschreien, Liebesentzug bis hin zu Bedrohungen und offener Verachtung.


  • Vernachlässigung: Das Versagen, einem Kind grundlegende körperliche und emotionale Bedürfnisse im Bereich der Gesundheit, Bildung, emotionalen Entwicklung, Ernährung, Unterbringung und nach einem sicheren Lebensumfeld zu erfüllen.


Psychische Misshandlung und Vernachlässigung - die "unsichtbare" Gewalt


Über die körperliche Seite der Gewalt möchte ich heute gar nicht sprechen, denn die ist für alle eindeutig erkennbar. Außerdem möchte ich kurz Werbung machen für mein Buch über Prävention von sexuellem Missbrauch an Kindern. Ihr könnt es über Amazon als e-book oder Taschenbuch bestellen.


Heute möchte ich mich der psychischen Gewalt widmen. Sie ist körperlich nicht sichtbar und die genannten Definitionen sind schon eher schwammig für viele – die deutlichsten Ausprägungen (Anschreien, Beleidigungen, körperliche Vernachlässigung) in diesen Kategorien sind aber doch sehr gut als Gewalt gegenüber Kindern erkennbar. Die nicht so deutlichen Ausprägungen kommen eher auf leisen Sohlen daher.


  • Wie sieht es aus mit Sprüchen, die uns leicht im Zorn oder in Situationen der Hilflosigkeit über die Lippen kommen?


Versager, du schaffst das sowieso nicht. | Aus dir wird nichts. | Du musst aufpassen, du bist ganz schön fett geworden. | Du machst alles falsch. | Natürlich warst es schon wieder du… | Wenn du nicht gleich spurst, dann gehe ich ohne dich. | Gutes Zeugnis, aber der 2er in Mathe versaut das schöne Bild.


  • Manche Eltern strafen ihre Kinder mit Liebesentzug, dh sie ignorieren ihre Kinder, behandeln sie wie Luft.


  • Hausarrest - das Wort alleine ist schon selbsterklärend – Kinder in Isolationshaft zu halten, von ihrem sozialen Umfeld zu trennen, ist als Strafe ungeeignet.


Viele Kinder werden vernachlässigt, die Eltern sind nicht in der Lage ihre emotionalen Bedürfnisse zu befriedigen. Vielleicht sind sie selbst psychisch instabil oder unreif und können dem Kind nicht die emotionale Sicherheit oder die Aufmerksamkeit bieten, die es braucht. Manche Eltern vernachlässigen auch das körperliche Wohl ihrer Kinder, das beginnt bei der Ernährung, geht über die Gesundheitsvorsorge bis hin in den Bildungsbereich.


Kinder fühlen sich hilflos und abgewertet


Die Folgen von Gewalt gegenüber Kindern sind gravierend. Viele Kinder sind zwar resilient und halten einiges aus, dennoch nehmen sie die seelischen und körperlichen Verletzungen mit in ihr Erwachsenenleben. Man kann sich leicht vorstellen, wie wertlos und hilflos sich betroffene Kinder fühlen. Man stelle sich ein noch recht kleines Kind vor und eine oder einen Erwachsenen, der von oben auf das Kind einbrüllt oder der das Kind komplett ignoriert. Das Kind muss sich völlig verängstigt und orientierungslos fühlen gegenüber diesem Riesen, der es anschreit oder links liegen lässt.


Oder stellt euch ein älteres Kind vor, das seinen Eltern ein Kunstwerk zeigt, das es in der Schule hergestellt hat und das zu Hause damit nur auf Spott stößt. Oder das Mädchen in der Pubertät, das sich vergleicht mit den Frauen in den Hochglanz Magazinen und das von der Mutter gefragt wird, ob es wirklich die dritte Kugel Eis essen möchte. Die Beispiele sind endlos.


UNICEF Kampagne gegen Gewalt in der Erziehung


Auf der Seite der UNICEF, die dem Thema "Niemals Gewalt gegen Kinder!" gewidmet ist, findet man schöne Beispiele dafür, wie man altbekannte Erziehungssprüche in einen positiven Spruch umwandeln kann, zum Beispiel


"Solange du die Füße unter meinen Tisch stellst, tust du was ich sage" wird zu "Solange du die Füße unter meinen Tisch stellst, fühl dich zu Hause!"


Oder


"Wenn du jetzt nicht kommst, gehe ich ohne dich" wird zu "wenn du jetzt nicht kommst, gehe ich dir entgegen".


Das kann zwar ein bisschen cheesy klingen, aber wenn man über die Sprüche nachdenkt, die einem fast schon automatisch über die Lippen kommen, dann ist es doch ganz nett, wenn man versucht, den negativen Teil in etwas Positives zu verwandeln.


Diese verbesserten Sprüche könnt ihr kostenlos herunterladen oder als Stickerset bei der UNICEF bestellen unter diesem Link.


Gravierende Folgen im Erwachsenenalter


Wir sollten uns wirklich anstrengen, die gewaltfreie Erziehung voranzubringen, denn die Folgen können wir die Kinder gravierend sein. Im Erwachsenenaltern leiden diese Kinder häufig unter einem geringer entwickelten Selbstvertrauen, Angststörungen oder Depressionen. Vielleicht bringen sie dadurch schlechtere Leistungen in der Schule oder können nur schwer positive Beziehungen mit anderen Menschen eingehen. Das kann große persönliche und gesellschaftliche Folgen haben.


Die Dunkelziffer bei Gewalt gegenüber Kindern ist sehr hoch. Oft erwischt man sich selbst, wie man in einer Situation, die einen überfordert, den "leichten" Weg geht und Sprüche loslässt, die man normalerweise nie sagen würde. Ich kann mich an eine solche Situation erinnern.


Unbedachte Sprüche mit schwerwiegenden Folgen


Ich war momentan aus irgendeinem Grund sehr aufgebracht und wütend und sagte zu meiner Tochter: "ab jetzt ist alles für dich gestrichen". Gemeint habe ich damit natürlich, dass alle Extras gestrichen sind, wie zB Reitunterricht. Meine Tochter war damals noch in der Volksschule, sah mich erschrocken an und fragte: "krieg ich auch nichts mehr zu essen?". Ihr schockiertes Gesicht und diese Frage haben mich ganz schnell wieder in die Realität katapultiert und ich war entsetzt darüber, was sie in ihrer kindlichen Vorstellung aus meinem unbedachten Spruch gemacht hatte. Seit diesem Tag passe ich sehr gut auf, was ich sage und mache lieber einen tiefen Atemzug in einer emotionalen Situation, bevor ich einen verletzenden Spruch loslasse. Ich war jedoch sehr froh, dass sie ihre Ängste gleich ausgesprochen hat. Nicht auszumalen, was sie mit sich herumgetragen hätte, wenn wir nicht gleich darüber gesprochen hätten und ich erklärt hätte, was ich eigentlich sagen wollte!


Gerade in der Pubertät, wo die Reibungspunkte größer werden, kann es durchaus herausfordernd sein, in Diskussionen sachlich zu bleiben und ich kriege es auch nicht immer hin.


Aber mit Übung und Selbstreflexion gelingt es mir immer besser, mich zu beherrschen und das zu tun, was von mir als Mutter gefordert ist. Ein Kind großzuziehen, das in seinem Zuhause gut geerdet ist, sich sicher fühlt und selbstbewusst und neugierig die Welt erobern kann. Ein Kind, das weiß, dass es immer einen Platz haben wird, an den es zurückkehren kann und an dem es mit offenen Armen empfangen wird, wenn es draußen in der Welt mal nicht klappt.


In diesem Sinne, sagt zusammen mit mir der Gewalt den Kampf an!


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