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Pflegekind-Serie: Was andere über mein Kind wissen dürfen – und was nicht

Pflegekinder zwischen Schutz, Offenheit und Vorurteilen


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Wenn du ein Pflegekind aufgenommen hast, kennst du diese Situation:

Neuer Kindergarten. Neue Schule. Neue Menschen, die sich für dein Kind interessieren – und nicht nur nach Allergien oder Förderbedarf fragen, sondern nach der Vorgeschichte.


Und dann stehst du da:


  • Was müssen sie wirklich wissen?

  • Was willst du erzählen?

  • Und was solltest du für dich behalten?


Offenheit ist nicht immer angebracht


Ich war anfangs sehr offen mit der Geschichte meiner Tochter. Ich dachte, jeder nimmt ein Kind mit offenen Armen, offenem Herzen und ohne Vorurteil auf. Ich dachte: Je mehr die Pädagog:innen wissen, desto besser können sie sie verstehen.


Leider habe ich gelernt: Offenheit kann auch verletzen.


Manche Informationen verletzen die Privatsphäre des Kindes. Manche rufen Vorurteile hervor. Und manchmal – so ehrlich muss man sein – steckt hinter den Fragen nicht nur Fürsorge, sondern auch Neugier.


Die Geschichte ist nicht das Kind


Kinder werden nicht ohne Grund aus ihre Ursprungsfamilie genommen und in die Krisenpflege oder sogar in die Dauerpflege gegeben. Diese Kinder tragen alle ein mehr oder weniger großes Päckchen mit sich – Verlusterfahrungen, Bindungsthemen, Gewalterfahrungen, sonstige Traumatisierungen.


Aber das macht sie nicht automatisch „schwieriger“, „problematischer“ oder gar "schwer erziehbar".


Es bedeutet nur: Sie haben schon in jungem Alter Dinge erlebt, die anderen Kindern ein Leben lang erspart bleiben. Und sie brauchen Erwachsene, die mit diesem Wissen um die Vorgeschichte und diesen Erfahrungen sensibel und respektvoll umgehen.


Pflegekinder brauchen kein Etikett


Oft ist die Biografie schon Thema, bevor das Kind im Kindergarten sein erstes Bild malt.

Dann wird jeder Regelverstoß, jede lebhafte Reaktion auf die Vorgeschichte zurückgeführt.  Und das Wissen der Pädagog:innen über die Details wird gegen das Kind verwendet.


  • Ich habe erlebt, dass man meiner Tochter Chancen abgesprochen hat – allein wegen „genetischer Vorbelastung“.

  • Ich habe erlebt, dass man sie für gefährlich hielt, obwohl sie friedlich am Tisch saß und malte.

  • Ich habe erlebt, dass sie nach einer Prügelattacke selbst „zum Gespräch“ musste, während der Täter unbehelligt blieb.


Solche Erfahrungen hinterlassen Spuren – nicht nur bei den Kindern.


Aber Pädagog:innen müssen doch vorbereitet sein?


Ja, Pädagog:innen müssen vorbereitet sein.

Ja, manche Infos sind rechtlich wichtig – z. B. wer das Kind abholen darf und wer nicht.


Aber: Vorbereitet sein heißt nicht, das Kind auf seine Akte zu reduzieren.

Sie müssen nicht alles wissen. Nur das, was wirklich hilft, das Kind zu begleiten.


In den Situationen, in denen pädagogische Fachkräfte Hinweise brauchen – etwa zu Traumareaktionen, zur Bedeutung von Übergängen oder zu bestimmten Verhaltensmustern, könnt ihr ihnen immer noch die notwendigen Informationen liefern.


3 Fragen, die du dir als Pflegeeltern stellen kannst:


  1. Hilft die Information dem Kind?

    Oder befriedigt sie nur Neugier oder Kontrollbedürfnis?


  1. Kann ich das Verhalten des Kindes auch beschreiben, ohne die Vorgeschichte zu erzählen? Beispiel: „Er braucht morgens länger, um in der Gruppe anzukommen“ statt „Er hat eine schwere Trennung erlebt.“


  1. Würde ich wollen, dass man so über mich spricht? Die Geschichte gehört dem Kind – auch wenn es noch klein ist. Auch Kinder haben ein Recht auf Privatsphäre.


Dein Kind. Deine Grenze.


Du darfst „Nein“ sagen.

Du darfst sagen: „Falls Ihnen etwas auffällt, sprechen Sie mich gerne an – manches klärt sich besser im Alltag als mit der ganzen Vorgeschichte.“


Lass dich nicht einschüchtern, das ist nicht unkooperativ. Du stellst dich schützend vor dein Kind und seine Geschichte. Denn Kinder brauchen einen geschützten Start, besonders wenn sie schon vieles erlebt haben.


Was Pädagog:innen wissen sollten


  • Eine Akte ist kein Mensch.

  • Ein Trauma ist keine Persönlichkeit.

  • Ein Pflegekind ist nicht verantwortlich für die Geschichte seiner biologischen Eltern.

  • Und ein Pflegekind ist nicht „schwieriger“ – sondern braucht Vertrauen, bevor es sich zeigen kann.


Fazit: Offenheit ja, aber mit Maß. Manche Dinge dürfen gesagt werden. Aber sie brauchen Kontext, Empathie und Zurückhaltung. Denn ein Kind ist nicht seine Herkunft.

Nicht seine Akte. Nicht das, was passiert ist.


Ein Kind ist – vor allem: Jetzt. Und wir sollten alle zusammenarbeiten, um das Jetzt in eine schöne Zukunft zu verwandeln.


Hast du Erfahrungen als Pflegeeltern oder Pädagog:in mit dieser Frage gemacht? Schreib mir gerne, ich freu mich auf dich. Wenn du jemanden kennst, der meinen Artikel lesen sollte, oder meinen Podcast anhören sollte, dann teile gerne diesen Blogartikel oder schicke ihm den Link zu meinem Podcast.

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