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Pflegekind- Serie: Am Anfang stand ein Gedanke

Aktualisiert: 1. Juni 2022

Mein Weg zum Pflegekind

Vielleicht spielt ihr auch gerade mit dem Gedanken, ein Pflegekind aufzunehmen. Ich möchte in dieser Serie meinen Weg zum Pflegekind und meine Erfahrungen auf diesem Weg mit euch teilen. Es war zwar nicht immer leicht, aber das Leben mit meiner Tochter wiegt alle Herausforderungen tausendfach auf.


Viele meiner Freundinnen hatten früher oder später den starken Wunsch, Mutter zu werden. Wenn man diesen Drang rein rational betrachtet, kann man diesen Herzenswunsch mit Sicherheit auf den Fortpflanzungstrieb zurückführen. Bei mir war dieser Fortpflanzungswunsch nicht vorhanden. Ich habe mich zwar immer schon gerne mit Kindern umgeben aber ich hatte nie das Bedürfnis, selbst die Erfahrung mit Schwangerschaft und Geburt zu machen.


Vielleicht liegt es daran, dass ich mich als Älteste von drei Geschwistern naturgemäß immer ein bisschen mitveranwortlich für diese gefühlt habe, und der Wunsch nach eigenen Kindern daher bei mir nicht so ausgeprägt ist. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich nicht so viel mit Babys anfangen kann. Ich weiß es nicht und vor diesem Artikel habe ich mir noch nie diese Frage gestellt...


Der Gedanke war schon immer da


Schon als Jugendliche stellte ich mir vor, dass ich irgendwann mindestens ein Kind adoptieren würde. Am liebsten wollte ich einem indischen Mädchen helfen, weil ich im Fernsehen gesehen hatte, dass diese Mädchen in vielen Gegenden kein schönes Leben führen konnten.


Ich wurde älter und der Gedanke an Adoption rückte in den Hintergrund. Im Laufe der Jahre war ich immer in Berührung mit Kindern - als Nachhilfelehrerin, als Au-Pair Mädchen, als Tante von Nichten und Neffen. Mein Lebensstil brachte mich jedoch nie an den Punkt, an dem eigene Kinder zusammen mit einem Partner spruchreif gewesen wären. Ich hatte eine interessante berufliche Karriere, eine herzliche Familie und ein bereicherndes Beziehungsleben, doch eigene Kinder hatten darin keinen Platz.


Mein Aha - Moment


Schließlich fand ich mich nach einem Umzug aus dem Ausland mit Mitte Dreißig als Single in einer neuen Stadt wieder und war einer eigenen Familie so fern wie nie. Der Gedanke aus meiner Teenagerzeit erwachte wieder in mir, als ich eines Tages im Kino den Film "Blind Side - Die große Chance" sah. Darin geht es um die wahre Geschichte des amerikanischen Football Spielers Michael Oher, der von der wohlhabenden Familie Tuohy aufgenommen wird. Der Film ist sehr berührend und zeigt, wie ein Kind - in dem Fall sogar ein Jugendlicher - mit ein bisschen Hilfe und Liebe seinen erfolgreichen Weg im Leben einschlagen kann. Falls ihr den Film noch nicht gesehen habt, lege ich ihn euch sehr ans Herz (https://amzn.to/3fTgDcO).


Ich weiß noch, wie mir nach dem Film ein Licht aufging: hatte ich nicht immer schon vorgehabt, ein Kind zu adoptieren? Warum hatte ich diesen Plan nicht schon längst umgesetzt? Dieser starke Wunsch, den ich als Teenager hatte, war plötzlich wieder ganz präsent in meinem Leben. Ich wusste, dass es der richtige Weg für mich war.


Die Reise beginnt


Gleich am nächsten Tag rief ich im Amt für Kinder- und Jugendhilfe in Wien an und fragte nach dem Kontakt für Auslandsadoptionen, da Alleinstehende in Österreich leider von der Adoption ausgeschlossen sind. Die nette Dame am Telefon sagte mir, dass die Zuständige für Auslandsadoptionen leider derzeit im Krankenstand sei und sie nicht wisse, wann sie wiederkomme. Ob ich denn unbedingt eine Auslandsadoption wolle oder ob nicht auch ein Pflegekind für mich in Frage käme?


Ich hatte mich noch nie mit dem Thema Pflegekind beschäftigt. Ich wusste natürlich mehr oder weniger, was ein Pflegekind ist. Mir waren auch schon als Kind einige untergekommen in unserer Nachbarschaft. Ich sagte der netten Dame, dass ich nicht auf eine Auslandsadoption fixiert sei. Sie freute sich und lud mich zu einem Informationsabend ein.


Formalitäten und Bewerbungsprozess


Mein Entschluss war gefasst. Obwohl gerade in Wien hoher Bedarf nach Pflegeeltern ist, werden die Bewerber auf Herz und Nieren geprüft und nach strengen Kriterien ausgewählt. Hier findet ihr die in Österreich geforderten Voraussetzungen für die Aufnahme eines Pflegekindes. Ich führte Auswahlgespräche, erbrachte Nachweise über meine finanzielle Situation und musste ein ärztliches Attest über meine physische und psychische Gesundheit vorlegen.


Um ein solches Attest zu bekommen, ging ich zu meinem Hausarzt. Es handelte sich damals um einen freundlichen, älteren Mediziner mit einem Schnauzer, der Kaiser Franz Josef neidisch gemacht hätte. Er gratulierte mir zu meinem Entschluss und stellte mir das Attest aus mit der Anmerkung, dass er mir schließlich ansehen könne, dass ich keine Drogen nehme und dass er mal davon ausgeht, dass ich auch geistig normal sei, obwohl er mir natürlich nicht hinter die Stirn schauen könne... Ich fand seine entspannte Art erfrischend und freute mich über mein Attest.


Die Eignungsbeurteilung dauert drei bis sechs Monate, man besucht ein Vorbereitungsprogramm, das aus unterschiedlichen Modulen besteht. Alle Kurse sind zwar verpflichtend aber kostenfrei für die Teilnehmer. In diesem Programm werden viele Themen abgedeckt, man hört Erfahrungsberichte von Pflegeeltern, kann in Workshops seiner eigenen Motivation auf den Grund gehen und sich mit den Mitbewerbern austauschen. Man kann alle Fragen klären, die unterwegs entstehen und erhält auch Informationen zu Rechtsfragen rund um das System "Pflegekind".


Interessant waren für mich auch die anderen Mitbewerber, die mit mir das Vorbereitungsprogramm absolviert haben. Außer mir gab es noch drei weitere Single Frauen, einige waren kinderlose Paare, andere Paare hatten selber schon ein, zwei oder sogar fünf Kinder. Schön fand ich, dass die Teilnehmer aus den unterschiedlichsten Schichten stammten und dass es nicht den Privilegierten vorbehalten ist, sich um ein Pflegekind zu kümmern.


Welches Kind passt zu mir?


Wenn man den Bewerbungsprozess erfolgreich absolviert hat und sich wirklich für die Aufnahme eines Pflegekindes bereit fühlt, kann es jederzeit zur Vermittlung eines Kindes kommen. Die Länge der Wartezeit hängt meist davon ab, ob man viele Ausschlusskriterien anführt oder sich ein Baby wünscht. Viele Bewerber wünschen sich ein Baby, hier kann die Wartezeit länger sein, denn die müssen ja bekanntlich erstmal geboren werden :-).


Ich habe für mich nur die Aufnahme eines stark körperlich oder geistig eingeschränkten Kindes ausgeschlossen, nicht weil ich keine behinderten Kinder mag, sondern weil ich mir als Alleinerziehende und Alleinverdienerin diese Verantwortung und die Kraft nicht zugetraut habe, mich um so ein Kind angemessen zu kümmern. Ich wollte auch keinen Säugling aufnehmen, sondern lieber ein etwas älteres Kind im Kindergartenalter, da ich mir keinen beruflichen Totalausfall leisten konnte. Mittlerweile ist es gesetzlich in Österreich möglich, auch bei der Aufnahme eines Pflege-Babys in Karenz zu gehen, das war damals noch nicht der Fall.


Einige Eltern in unserer Vorbereitungsgruppe wollten keine Kinder mit einer anderen Religion aufnehmen, weil der christliche Glaube in ihrer Familie eine große Rolle spielte. Das Recht über die Religionszugehörigkeit des Kindes zu bestimmen, liegt bei der Herkunftsfamilie. Daher muss diese mit einer Änderung der Religionszugehörigkeit des Kindes einverstanden sein. Ihr könnt euch vorstellen, dass gerade das kein einfaches Thema ist... Wieder andere konnten sich nicht vorstellen, ein Kind ohne österreichische Papiere aufzunehmen, aufgrund der damit verbundenen bürokratischen Herausforderungen.


Schockierend zu erfahren war für mich, dass Kinder ab 2 Jahren schon schwierig zu vermitteln sind. Viele künftige Pflegeeltern haben Angst vor einer zu großen Vorbelastung bzw Traumatisierung älterer Kinder. Diese Befürchtungen sind durchaus berechtigt. Ältere Kinder haben die Vernachlässigung oder Misshandlungen natürlich viel bewusster wahrgenommen als Babys. Die Eingliederung eines älteren Pflegekindes in die eigene Familienstruktur kann ebenfalls ein Hinderungsgrund für die Aufnahme sein. Eigentlich sollte das Pflegekind nicht älter sein als die eigenen, bereits vorhandenen, Kinder und der Altersabstand sollte ca zwei Jahre betragen.


Nicht alle Teilnehmer unserer Vorbereitungsrunde blieben bis zum Schluss dabei. Einige brachen vor dem Abschluss ab, weil sie nach Erhalt aller Informationen doch feststellten, dass sie es nicht zutrauten, ein Pflegekind aufzunehmen. Daher ist es sehr hilfreich, sich vor Aufnahme eines Pflegekindes genau zu informieren und in sich zu gehen, ob man ein Kind begleiten möchte, das mehr oder weniger traumatisiert ist und ob man es aushält, dass man immer früher oder später mit der Herkunftsfamilie konfrontiert wird und sich mit ihr auseinandersetzen muss.


Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt


Im Leben läuft ja selten alles so, wie man es geplant hat. In diesem Fall war es bei mir nicht anders. Nach Abschluss des Vorbereitungsseminars sprach mich die Leiterin an. Das war etwa drei oder vier Monate nachdem ich den ersten Anruf im Amt getätigt hatte. Sie hätte da ein kleines Mädchen, das dringend eine Unterbringung sucht. Sie zeigte mir ein Foto und ich wusste sofort, dass ich dieses Mädchen aufnehmen würde.


Selcan hatte keine einfache Geschichte. Sie war zwei Jahre alt, wurde ihren Eltern mit einem Jahr abgenommen und war nun bereits in der zweiten Krisenpflegefamilie. Es war schwierig für sie eine Pflegefamilie zu finden, da sie aus einer türkischen/muslimischen Familie stammt, mit ihren zwei Jahren bereits als schwer vermittelbar galt und außerdem Verformungen an den Beinen hatte aufgrund von Vitamin-D Mangelrachitis. Und die österreichische Staatsbürgerschaft hatte sie auch nicht :-).


All das konnte mich nicht abschrecken. Ich sah auf dem Foto in Selcans Augen ihr lebendiges und fröhliches Wesen. Sie strahlte etwas so Positives aus, dass ich wusste, wir würden gut zusammenpassen.


Dann ging alles recht schnell. Selcan sollte dringend in eine Dauerpflege vermittelt werden, daher musste ich nicht mehr an den vertiefenden Modulen der Vorbereitung teilnehmen. Ein halbes Jahr nach meinem Aha-Moment war ich Pflegemama eines zweijährigen Mädchens. Wenn man die richtigen Türen im Leben öffnet, läuft alles wie geschmiert!


Beim nächsten Mal erzähle ich euch etwas über den sogenannten Anbahnungsprozess, das erste Zusammentreffen mit den leiblichen Eltern und die erste Zeit mit Selcan bei mir zu Hause.


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