Selbstbewusstein als Superpower
Wenn wir Erwachsene an Missbrauchstäter denken, fallen uns sofort spektakuläre Beispiele aus Medienberichten ein. Ein Mädchen wird von einem Fremden in einen weißen Van gezerrt und entführt. Ein kleiner Junge wird von einem Fremden vom Spielplatz weggelockt und entführt. Das Schreckgespenst des unbekannten Täters ist der Alptraum aller Eltern. Daher warnen Eltern seit jeher ihre Kinder vor Fremden, Wir bringenn ihnen bei, dass sie nicht mit Fremden sprechen und nichts von ihnen annehmen dürfen. Diese Sensibilisierungsmaßnahmen sind natürlich goldrichtig. Kinder müssen wissen, welche Tricks sich Fremde einfallen lassen, um sie zB in ihr Auto zu locken.
Erschreckende Missbrauchsstatistik
Leider genügt es nicht, unsere Kinder vor dem großen Unbekannten zu schützen und zu warnen. Die wahre Gefahr, der unsere Kinder tagtäglich ausgesetzt sind, geht nicht vom Fremden im weißen Van aus, sondern von Stiefvater, Busenfreund, Onkel, Trainer, Lehrer. Also von Menschen, die Teil der Familie oder des näheren Umfelds sind. Laut einem Bericht der WHO soll 1 von 5 Frauen und 1 von 13 Männern im Alter von 0 bis 17 Jahren sexuell missbraucht worden sein; 120 Millionen Mädchen und junge Frauen unter 20 Jahren sollen Opfer eines unerwünschten sexuellen Kontakts geworden sein (siehe: https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/child-maltreatment).
Besonders anschaulich und schockierend wird die Zahl der Opfer sexuellen Missbrauchs, wenn man die Umrechnung der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs liest; demnach bedeutet die oben angeführte Statistik, dass in Deutschland in jeder Schulklasse 1-2 Kinder Opfer sexueller Gewalt sind oder waren. Dabei handelt es sich freilich um Schätzungen und Statistiken, die Dunkelziffer der nicht bekannten Fälle könnte noch viel höher liegen.
Gefahr erkannt = Gefahr gebannt
Was können wir als Eltern, Erziehungsberechtigte oder erwachsene Vertrauenspersonen tun, um diese Zahl künftig zu mindern? Hier kommt die Aufklärungsarbeit ins Spiel. Zunächst müssen wir als Erwachsene uns bilden und informieren und zwar darüber, wer die Täter sind und wie wir unsere Kinder vor diesen Tätern schützen können.
Wie bereits erwähnt sind die Täter meistens im direkten Umfeld unserer Kinder zu finden. Dabei erscheint es nicht überraschend, dass Täter häufig auch Berufe wählen, bei denen sie im Rahmen ihrer Tätigkeit unverdächtig Kontakt zu möglichst vielen Kindern und Jugendlichen aufnehmen können. Sie betätigen sich als Lehrer, Trainer, Kindergartenpädagoge, Jugendpfarrer, Pfadfinderbetreuer, etc. Sie suchen sich alleinerziehende Mütter oder Familien, die mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind, und bieten sich als kinderlieber Babysitter oder als neuer Familienfreund an oder gar als neuer Lebenspartner der alleinstehenden Mutter.
Bitte versteht mich nicht falsch - ich möchte keinesfalls eine dieser Berufs- oder Personengruppen diskreditieren oder in ein schlechtes Licht rücken. Ich kenne selbst wunderbare Lehrer, Jugendtrainer oder Freizeitpädagogen. Nicht jeder Mann, der eine alleinerziehende Mutter kennenlernen möchte, tut das, um sich ihren Kindern anzunähern. Ich kenne sehr viele positive Beispiele aus meinem eigenen Umfeld. Leider gibt es unter den vielen guten Menschen auch viele schlechte Menschen, die ausnützen, dass wir arglos sind und Fremden nicht grundsätzlich böse Absichten unterstellen.
Grooming-Prozess
Durch diese Annäherung an die Familie und das Kind wird die Präsenz des Täters im Leben der Familie normal und die ganze Familie oder die alleinerziehende Mutter ist vom Charme des Täters betört. Alle empfinden seine Anwesenheit als Bereicherung und Segen. Auch das betroffene Kind, das spätere Opfer, ist von der Person begeistert. Dieser Annäherungsprozess wird auch Grooming genannt.
Erst nach und nach testet der Täter, wie weit er gehen kann. Die Übergriffe steigern sich nach und nach, die Grenzen werden immer weiter verschoben und das Kind gerät durch die perfide Vorgehensweise des Täters immer tiefer in eine
Scham- und Schuldspirale. Es fühlt sich selbst so tief verstrickt und mitschuldig, dass es sich nicht mehr dazu in der Lage fühlt, seinen Eltern vom Missbrauch zu erzählen. Das spielt dem Täter in die Hände und der Missbrauch dauert an.
Doch wir Eltern sind keine hilflosen Spielbälle im Spiel des Täters. Wir können unsere Kinder bereits im Kleinkindalter stärken und sie als Opfer für Missbrauchstäter möglichst uninteressant machen. Wir können ihnen auch helfen, eine Traumatisierung im Falle eines sexuellen Übergriffs zu verarbeiten und eine Retraumatisierung verhindern.
Schweigen = Gift
Unsere größte Waffe gegen solche Täter ist die vertrauensvolle Beziehung zu unseren Kindern. Wenn unsere Kinder verinnerlicht haben, dass sie sich jederzeit und mit allem, was sie belastet, an uns wenden können, dann werden sie für Täter uninteressant. Denn die Täter müssen darauf zählen können, dass ihre Opfer ihr Geheimnis wahren. Kinder, die ihren Eltern alles berichten, stellen für Täter eine zu große Bedrohung dar.
Ein Kind mit einer starken Vertrauensbeziehung zu seinen Eltern und einem gesunden Selbstbewusstsein, das seine eigenen und die Grenzen anderer kennt, ist gut gewappnet gegen Missbrauchstäter.
Buchtipp:
Wenn ihr mehr zu diesem Thema lesen wollt, lade ich euch ein, mein e-book zu lesen: Mein Körper gehört mir! - Selbstbewusstein als Prävention: Erziehungstipps zur Vorbeugung von sexueller Gewalt an Kindern. Es enthält Informationen zu Tätern, zum Grooming, zu Victim Blaming sowie dazu, warum Kinder häufig schweigen, wenn sie Opfer geworden sind. Außerdem gebe ich euch Tipps, wie ihr die Prävention bereits ab dem Kleinkindalter in eure Erziehung einbauen könnt.
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